Allgemein ·Chinesische Medizin ·Die 5 Wandlungsphasen

Kontrolle vor Schöpfung? Ordnung vor Wachstum? (3.Teil)

Kontrolle vor Schöpfung - FotoliaDer dritte Teil des Artikels von Joachim Stuhlmacher

Kurze Zusammenfassung der letzten beiden Blogbeiträge

Nachdem sich nach Erscheinen des letzten Beitrags doch ein paar Interessierte gemeldet haben und ein wenig Unverständnis über den von mir geschilderten  Zusammenhang zwischen den Wandlungsphasen Metall <> Holz und somit den Organnetzwerken Lunge <> Leber geäußert haben, möchte ich in diesem Beitrag versuchen, die Thematik in aller Kürze zusammenzufassen und auf den Punkt zu bringen, auch unter Mithilfe von Zeichnungen, die die Beziehung dieser Organe nochmals verdeutlichen.

In der TCM wird ja eher unterrichtet, dass die Wandlungsphase Holz mit dem Frühling zusammengehört und das Metall mit dem Herbst. Somit auch das entsprechende Organnetzwerk Leber mit dem Osten und einer aufsteigenden Kraft, das Organnetzwerk Lunge mit einer abwärts-gerichteten Energie und dem Sonnenuntergang im Westen. Doch genau dieser Absolutheitsanspruch widerspricht dem generellen Denkkonzept der Klassischen Chinesischen Medizin. Es gab immer widersprüchliche Auffassungen zu bestimmten Aspekten des Lebens als auch in der Heilkunde. Diese wurden immer mit Respekt betrachtet und geachtet. Als jedoch die TCM daraus wurde, wurde sie dem westlichen, schulmedizinisch orientierten Menschen angepasst. Der liebt es eindeutig und unmissverständlich. So war auch mein Einstieg mit der TCM. Ich wollte eine Alternative, unbedingt, aber sie musste dennoch auch noch immer in mein Weltbild passen. Sie durfte nicht zu anders sein. So fand ich den Bezug zwischen Leber <> Augen, Niere <> Unterleib, um einfach mal zwei Beispiele zu nennen, nachvollziehbar und für mich gerade noch akzeptabel. Als ich später lernte, dass die Augen u.a. (!) auch einen engen Bezug zum Magen, zum Herzen und zur Gallenblase haben und der Unterleib nicht nur von der Niere, sondern auch stark beeinflusst wird von der Leber, dem Magen und der Lunge, hatte ich so meine Probleme. Das war mir seinerzeit zu unwissenschaftlich, zu esoterisch.

 

Die Vielfalt der Chinesischen Medizin

Heute verstehe ich gar nicht mehr, wie ich damals nur so einseitig und unwissenschaftlich denken konnte! Inzwischen habe ich für mich immer mehr verinnerlicht, dass viele Wege nach Rom führen und dass der liebe Gott die Vielfalt mag. Meine Betrachtungen und meine Ideen bezüglich der Organnetzwerke gehen zurück auf die sogenannten „12 Ebbe- und Fluthexagramme“ und deren Zuordnungen aus der Han-Zeit (ca. 200 v.Chr. – 200 n.Chr.). Dieses System gibt jedem einzelnen Organ eine relativ gleichberechtigte Funktionsweise im Körper, ähnlich den Aussagen im Huangdi Neijing, Kapitel 8: „Der Körper besteht aus 12 gleichberechtigten Organen, sie haben folgende Funktionen:“. Zusammen mit der 6 Schichtenlehre, den 5 Wandlungsphasen und der Theorie von Yin und Yang ergibt sich ein vollständigeres Bild des Körpers und seiner drei Ebenen Jing (Materie/Körper), Qi (Atem/Energie) und shen (Geist/Psyche).

Sie als Patienten und Sie als Therapeuten müssen diese geistige Offenheit, dieses Verständnis aus dem Herzen heraus wieder neu aktivieren. Wir alle sind mit dieser Gabe geboren, doch wir müssen all den Müll, den wir darüber gestapelt und gestülpt haben, wieder ziehen lassen und uns auf unsere wahre Natur rück-besinnen (religio). Der von mir in den letzten beiden Beiträgen herausgestellte Bezug zwischen der grundlegend ordnenden, kontrollierenden Kraft des Metalls und der grundlegend schöpferisch, wachsenden Kraft des Holzes ist der offensichtlichste Aspekt unseres Verlustes unserer wahren Natur. Hier zeigt sich der bereits weit fortgeschrittene Wandel einer Herzenskultur zu einer Verstandeskultur am deutlichsten und genau hier ist es so schwierig auszubrechen, da wir sofort nach wissenschaftlichen Beweisen gefragt werden, nach rationalen Erläuterungen und damit jegliche weitere Diskussion unterbunden wird. Wenn wir uns in Zukunft mit der „Feuer-Wasser-Achse“ beschäftigen werden, wird deutlich, dass einer der Hauptgründe für dieses destruktive Verhalten, unsere (witziger weise irrationale) Angst ist. Doch niemand wagt zu fragen, ob Wissenschaft wirklich alles weiß und alles belegen kann oder ob sie alles Alternative von vornherein ablehnen darf, weil es nicht mit ihren Methoden beweisbar ist. Auch da zeigt sich die Irrationalität, da es sich dann ja nicht mehr um etwas wirklich Alternatives handelt. Wissenschaft, das was wir heute darunter verstehen (Nachprüfbarkeit in jedem Labor der Welt), lässt viele Fragen offen. Ich nenne mal nur einige Wenige: Was ist Liebe? Wie zeigt sich Liebe? Gibt es dafür wirklich absolut verlässliche wissenschaftliche Aussagen?? Ich bin mir sicher, es gibt sie nicht! Wie funktioniert eine gute Partnerschaft? Müssen die Partner Händchen halten, sich regelmäßig einmal täglich küssen, damit wir beweisen können, dass dies eine gute Partnerschaft ist?? Und wie kann es, dass die Wissenschaft, die Schulmedizin manchmal nicht mal den Placebo-Effekt an Wirksamkeit erreicht (Gerac-Studie)?? Wie kann es sein, dass wir angeblich die beste Medizin der Welt haben und dennoch soo hohe Kosten und soo viele Kranke? Wie kann es sein, dass trotz wissenschaftlicher (beispielsweise physikalischer oder chemischer) Berechnungen, immer noch soo viele Dinge nicht funktionieren und klappen?? Es gäbe viele Beispiele mehr. Ich möchte hier unsere Wissenschaft nicht verteufeln (das, was ja die Gegenseite mit den Alternativen sehr wohl sehr gerne tut!), ich möchte nur ihre Grenzen aufzeigen und erläutern, warum jedwede Einseitigkeit (im Sinne der Natur, ausgedrückt im universalen Gesetz von Yin und Yang) auf Dauer scheitern muss. Der Verstand und die technische Wissenschaft sind inzwischen so dominant, dass alles an Intuition, an alternativen Weltbildern, an esoterischen Ideen, an Glaubensauffassungen verteufelt wird. Und damit beraubt sich die Menschheit selbst ihrer unendlichen Vielfalt. Jede einseitige Idee wie Faschismus, jedes einseitige Denken wie nur meine Familie ist wichtig, nur unser Land ist wichtig (und damit richtig!) und nur unsere Medizin ist gut, lässt uns nur ärmer und kranker werden. Nun, was dies alles mit der Chinesischen Medizin zu tun hat?

 

Die Kombination von 5 Wandlungsphasen und 12 „Ebbe- und Flut-Hexagrammen“

Die Chinesische Medizin hat keine Probleme mit der Vielfalt der Welt, ganz im Gegenteil, sie nimmt diese als Grundlage für ihr Handeln und versucht, diese Vielfalt zu erhalten. Abgesehen davon, dass sie auch die Schulmedizin, wo sie Sinn macht, in ihr System integriert hat, gab es in ihrem eigenen System immer diese Offenheit, diese Toleranz (Erst seit Mao in den 1960er Jahren die neue „TCM“ hat kreieren lassen, ist diese Offenheit leider auch dort verloren gegangen). So gab es in der Han-Zeit neben dem traditionell eher bekannten System der 5 Wandlungsphasen, also etwa zur Zeitenwende (ca. 200 v. – 200 n. Christus), das System der 12 Organnetzwerke, das sich auf die Hexagramm-Wissenschaft aus dem Yijing, dem „Buch der Wandlungen“ bezog. In ihr finden sich zu jedem Organnetzwerk Funktionen, Beschreibungen und Aufgaben auf den drei Ebenen Jing, Qi und shen. Kombiniert man dieses Wissen mit dem System der 5 Wandlungsphasen so erhält man eben deutlich mehr Hinweise über die Funktionalität der Organnetzwerke, theoretische aber insbesondere auch ganz praktische, für die Klinik nutzbare Hinweise. Das Wissen wird insgesamt umfassender, offener und damit auch die Behandlungsmöglichkeiten vielfältiger und effektiver.

Schauen wir also jetzt nochmals auf die zwei sich ergebenden Achsen innerhalb des 5 Wandlungsphasen-Modells, so sehen wir die „Achse von Raum und Zeit“ mit den Wandlungsphasen Holz <> Erde <> Metall  und die „Achse der Raum- und Zeitlosigkeit“ mit den Wandlungsphasen Feuer <> Erde <> Wasser.

Hier soll es reichen zu erwähnen, dass die Achse Holz <> Erde <> Metall eher unsere heutige Welt der Materie, unseren Alltag widerspiegelt. Alle Phänomene eben, die den Aspekten von Raum und Zeit unterliegen, während die Feuer <> Erde <> Wasser -Achse eher die unsichtbaren, geistigen Welten darstellt, die jenseits von Raum und Zeit ihren Ursprung haben, aber natürlich mit der anderen Welt vernetzt sind und tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Welt von Raum und Zeit haben. Außerdem lassen sie sich nicht wirklich trennen!! Dies ist ebenfalls von großer Bedeutung. Denn unsere Wissenschaft trennt und analysiert gerne, während die Chinesische Medizin eher versucht, die Welt in ihrer Gesamtheit im Auge zu behalten und als absolute Einheit zu sehen, auch wenn zur Erläuterung einzelne Aspekte herausgegriffen werden.

Die 12 Ebbe- und Fluthexagramme wiederum stellen die Funktionen, Informationen und Inhalte dar, wie sie zur Han-Zeit bekannt waren und eingesetzt wurden. Diese gesamten Informationen werden in einem Hexagramm zusammenfassend dargestellt. Diese Hexagramme sind Abbildungen der energetischen Struktur und des energetisch, informativen Charakters jedes Organnetzwerkes. Das Huang Neijing greift auf diese Informationen aus der Agrikultur, der Natur, dem Wetter, den Sternen etc. zurück und so werden die Organnetzwerke bestimmten energetischen Mustern zugeordnet, nicht umgekehrt. Es nennt diese aber nicht mehr explizit, da sie ja seinerzeit schon bekannt waren.

Die Lunge ist der „Erde“ zugeordnet, also den nachhimmlischen Funktionen und  ganz eindeutig auf der Ostseite zu finden ist, ausgedrückt durch das Hexagramm 11 „Friede/Tai“. Die Lunge hat – jedes Hexagramm baut sich von unten nach oben auf – zuerst drei Yangstriche (durchgezogene Striche <> Yang), darauf folgen drei Yinstriche. Die Bedeutung dieses Hexagramms kann ich nicht vollständig darlegen, aber es wird deutlich, dass die Kraft, das Qi des Körpers, unser Lebensfunke (Yang) schon vorher am wachsen war und nun kurz vor dem Durchbruch an die Oberfläche steht, eben wie im Frühling. Der Lunge voran stehen die beiden Holzorgane Gallenblase und Leber, die mit einem bzw. zwei Yangstrichen das Wachsen des Yang einleiten und weiterführen. Deshalb werden u.a. der Gallenblase der Mut, den ersten Schritt zu tun (das erste Yang hervorzubringen) und der Leber die Ausdauer, also die Fähigkeit nach dem ersten Schritt auch einen zweiten folgen zu lassen, zugeordnet. Diese Fähigkeit wird in der Lunge fortgesetzt, die das Yang bis nahe an die Oberfläche (Immunsystem!) bringt und es bis kurz vor dem Ausbruch in die äußere Welt bringt. (Deshalb ist beispielsweise die richtige Ausführung der Brokate „Den Adler mit dem Bogen schießen“ absolut wichtig, sie bezieht sich auf dieses alte Wissen). Es ist so fantastisch wie einfach, aber auch so nachvollziehbar genial, wie die Weisen im Altertum ihr Wissen erworben und dargestellt haben.

Somit haben die Lunge und die Leber, die Wandlungsphase Metall und die Wandlungsphase Holz sehr viel miteinander zu tun. Sie unterstützen und fördern sich gegenseitig darin, die Yangenergie des Körpers, den Lebensfunken, den Lebenswunsch auch nach außen in die Welt zu bringen und nicht nur im Inneren des Körpers verpulvern oder schlimmer noch Schaden anrichten zu lassen. Und in diesem Zusammenspiel ist der harmonische und gleichberechtigte Ablauf der Kräfte des Metalls und des Holzes von entscheidender Wichtigkeit. Das ordnende, um Sicherheit bemühte, kontrollierende und sich zurückziehende Prinzip des Metalls darf keinesfalls überbetont werden, da ansonsten eine Unterdrückung von Mut, Durchsetzungskraft und Kreativität  – Aspekte des Holzes – stattfindet. So finden wir auch Zukunftsangst als eine metallspezifische Angst. Doch es schädigt nicht nur die Lunge als Ausdruck des Metalls, sondern auch deren Zusammenspiel mit dem Holz. Das Holz möchte einfach spontan leben, während das Metall dies auch möchte, aber unter ein wenig Führung und Kontrolle. Doch wenn die schöpferische Kraft des Holzes fast vollständig unterdrückt wird in einer Gesellschaft wie der unseren, dann entsteht das Leben nicht mehr in voller Blüte neu, sondern nur noch limitiert. Und wenn Leben ständig limitiert wird, stirbt es irgendwann. Das bezeichnen die Daoisten als „Zu Lebzeiten schon tot sein!“. Und dieser „Tod“ gilt als weitaus schlimmer als der natürliche Tod.

Vielleicht schauen Sie sich jetzt, liebe Leser, nochmals die ersten zwei Teile meines Blogbeitrags genau an und überprüfen, ob wir schon auf dem Weg zum „selbstgewählten“ Tod sind, oder noch intensiv leben. Ich behaupte, dass die meisten Menschen kaum noch richtig und intensiv leben. Viele begeben sich in einen ewigen Kreislauf aus Angst <> Kontrolle und entwickeln aus diesem System die Idee, dem Leben immer vorsichtig, kontrollierend und prüfend gegenüber zu stehen. Die Power des Holzes, wenn sie sich korrekterweise aufs Herz bezieht, sieht nur die Einheit und den Wunsch, diese Energie zu leben, intensiv, hingebungsvoll und vollständig. Die andere (pathologische) Idee verwirklichen wir, in dem wir uns immer überschaubare, ausschließlich im Äußeren stattfindende Situationen suchen, in denen wir unseren Mut dann beweisen können. Den Irak angreifen (ohne selbst an der Front zu sein), Bungiespringen oder andere jugendliche Mut-proben, die uns bestätigen, wie mutig wir doch sind. Die Wahrheit liegt, wie so oft, verborgen hinter diese nur scheinbar mutigen Taten. Und dort finden wir oft verängstigte, vorsichtige Menschen, die sich eben nicht trauen ins Leben zu springen. Das Holz hat die Aufgabe und auch die Power uns wieder intensiver ins „alltägliche“Leben zu stürzen und nicht nur kontrolliert durch den Verstand ein „Schein-Leben“ zu führen. Seien Sie mutig, schauen Sie sich Ihr Leben einfach mal ehrlich und offen an!

 

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